Leben in DDR und BRD
Zwischen Mauerfall und Stasi-Akten
Dominik RinkartMarianne Birthler im Gespräch11.04.2014 red Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Dominik RinkartMarianne Birthler signiert ihr Buch „Halbes Land, ganzes Land, ganzes Leben. Erinnerungen." (Carl Hanser Verlag, Berlin 2014)Marianne Birthler hat gestern in der Evangelischen Akademie am Römerberg in Frankfurt ihre Autobiografie „Halbes Land, Ganzes Land, Ganzes Leben“ vorgestellt. Darin berichtet sie von Erinnerungen, die stets geprägt sind von den Erfahrungen der DDR und des wiedervereinten Deutschlands.
Fast 200 interessierte Zuhörer sind in den Saal der evangelischen Akademie am Römerberg gekommen, um sich Geschichten aus Birthlers ereignisreichem Leben anzuhören. Viele sehen in ihr ein Vorbild, ein Beispiel für Mut und Engagement.
Lieber in die Kirche als in die FDJ
1948 in Berlin geboren, wächst Birthler im Osten der geteilten Stadt auf. Schon früh findet sie Freunde in der Kirche. Nicht zuletzt deswegen entscheidet sie sich gegen die Freie Deutsche Jugend (FDJ), dem sozialistischen Jugendverband, sondern engagiert sich lieber in der Kirchengemeinde. Doch auch in ihrer Schule findet Birthler eine „Insel der Angstfreiheit“ vor.
Gedemütigt, weil sie sich zum Glauben bekennt
Dort gewinnt sie den „Eindruck, was freier Geist ist, oder zumindest sein könnte“. Aber sie lernt auch bereits die Schikanen der SED-Diktatur durch die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) kennen und spüren: Ein Aufsatz die Gesinnung der Schüler überprüfen. Birthler schreibt zusammen mit einem Freund lieber über ihren christlichen Glauben. Das endet für beide in einer öffentlichen Demütigung vor der ganzen Klasse durch die Lehrerin. Doch auch das kann ihren freien Geist nicht brechen.
Prager Frühling prägt Birthler
Birthlers bewusste Politisierung setzt jedoch erst mit zwanzig Jahren zur Zeit des Prager Frühlings 1968 ein. Die Besetzung der Tschechoslowakei durch Truppen des Warschauer Pakts am 21. August 1968 fällt zudem in die Zeit ihrer ersten Schwangerschaft und der Hochzeit mit ihrem Mann Wolfgang.
Eine schwere Zeit erlebt Birthler auch als ihr Mann Wolfgang seine Zeit als Bausoldat ableisten muss, während sie mit zwei kleinen Kindern und schwanger mit dem dritten zu Hause bleibt. Zu der Zeit leben sie in einem Wohnkomplex im brandenburgischen Schwedt. Die Nähe zum dortigen Militärgefängnis führt ihr die Grausamkeit des Regimes täglich vor Augen.
Aus der DDR-Opposition in Bundespolitik
Geprägt von diesen Erfahrungen führt sie ihr Weg Anfang der achtziger Jahre in die Opposition. Euphorisiert von der friedlichen Revolution und dem Mauerfall ist sie 1990 Mitglied der Volkskammer und anschließend die erste Bildungsministerin im neuen Bundesland Brandenburg.
Die Grünen und Bündnis 90
Bei ihrer Lesung in der evangelischen Akademie widmet sie ein Kapitel den Konflikten rund um den Zusammenschluss der westdeutschen Partei „Die Grüne“ mit der ostdeutschen Bürgerrechtspartei „Bündnis 90“. Zwar wird Birthler Bundesvorsitzende, merkt jedoch schnell, wie groß die Kluft zwischen Ost und West auch nach dem Mauerfall noch ist. So erlebt sie erbitterte Diskussionen im Zuge der Debatten rund um den Bosnienkrieg und muss sie auch in der Demokratie erste Enttäuschungen erleben.
Birthler leitet Stasi-Unterlagen-Behörde
Dennoch geht ihre politische Kariere steil aufwärts. Von 2000 bis 2011 leitet sie die Stasi-Unterlagen-Behörde als Bundesbeauftragte. In der dieser Zeit heißt die Behörde im Volksmund Birthler-Behörde. Als Nachfolgerin von Joachim Gauck erreicht sie damit den bisherigen Höhepunkt ihrer politischen Laufbahn.
Gegen das Vergessen
Gebannt und fasziniert lauschen die Zuhörer Birthlers Ausführungen. Nachdem diese ihre Lesung beendet hat, folgt eine Diskussionsrunde. Neugierig fragt das Publikum, das zum großen Teil eigene DDR-Erfahrungen besitzt, nach ihrem Engagement zur Aufarbeitung der Vergangenheit und der Rolle der Stasi. Birthler erklärt dazu: „Nach 1945 mussten die Leute mühsam lernen, dass es gut ist sich zu erinnern. Nach 1990 haben wir von diesem Lernprozess profitiert.“
SED „nur Dienstleister“
Zur Rolle der Stasi ist es ihr wichtig zu betonen, dass diese nur ein Dienstleister der SED sei. Zwar gebe es noch immer ein Milieu alter Funktionäre und bestimmte Seilschaften, eine konkrete Gefahr könne ohne die Partei jedoch nicht von ihnen ausgehen. Jedoch warnt sie: „Die Überwindung einer Diktatur heißt nicht, dass ihre Nachwirkungen aus den Köpfen der Menschen verschwunden sind. Diktaturen sind verlockend, denn man muss darin keine Verantwortung übernehmen.“
Man hat immer die Wahl
Dennoch verwehrt sie sich dagegen, Diktaturen Macht über das Wesen der Menschen zuzusprechen: „In der Diktatur werden die Bösen böser und die Guten besser.“ So würde ein System nicht zwangsläufig ein bestimmtes Verhalten hervorbringen. Jeder habe immer eine Wahl und die Möglichkeit einer eigenen Meinung.