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Nahost-Konflikt

Militärseelsorger stehen den deutschen Soldaten im Irak bei

Quelle: MDHSMilitärbischof Dr. Sigurd RinkMilitärbischof Dr. Sigurd Rink plädiert dafür, kluge Wege der Diplomatie zu finden

Aus den USA und über den Iran sind erste Signale der Deeskalation zu hören. Allerdings sind gestern Abend Raketen in Bagdad eingeschlagen. Im Interview schätzt Militärbischof Dr. Sigurd Rink die labile Situation im Nahen Osten ein und veranschaulicht die Bedeutung der Militärseelsorge.

Der Garten Eden ist durch Gewalt erschüttert. Der Irak, das Land von Euphrat und Tigris, ist Schauplatz gegenseitiger Drohnen- und Raketenangriffe zwischen den USA und dem Iran. Die beiden Flüsse des Iraks werden schon in der Paradiesgeschichte der Bibel beschrieben. „Es ist ein Jammer, dass sich in dieser Wiege der menschlichen Kultur solche Dramen ereignen“, bedauert Militärbischof Dr. Sigurd Rink. Er erläutert in einem Interview, wie Militärseelsorgerinnen und -seelsorger an Militärbasen im Ausland die deutschen Soldatinnen und Soldaten in bedrohlichen Situationen begleiten.

Im gewaltsamen Konflikt zwischen den USA und dem Iran zeichnen sich erste Signale der Entspannung ab. US-Präsident Donald Trump teilte mit, dass ein weiterer Militärschlag nicht geplant sei, allerdings kündigte er weitere Sanktionen gegen den Iran an. Vize-Präsident Pence sprach laut Presseberichten zudem von Geheimdienstinformationen, nach denen der Iran von den Milizen verlange, auf Angriffe zu verzichten. Allerdings sind gestern Abend zwei Raketen in der irakischen Hauptstadt Bagdad eingeschlagen. Vorausgegangen war die Tötung des iranischen Generals Ghassem Soleimani sowie des irakische Milizenführers Abu Mehdi al Muhandis am 3. Januar 2020 durch eine US-Drohne. Daraufhin folgten Raketenangriffe aus dem Iran auf zwei Militärstützpunkte im Irak, die auch von den USA genutzt wurden. In der Basis Erbil sind auch deutsche Soldaten stationiert.

Wie schätzen Sie den gegenwärtigen gewaltsamen Konflikt zwischen den USA und dem Iran ein, der sich auf irakischem Boden abspielt?

Dr. Rink: Wir stehen an der Klippe zu einer kriegerischen Auseinandersetzung. Ich habe keinen Zweifel, dass die Vereinigten Staaten mit ihren Streitkräften militärisch überlegen sind. Aber in der Vergangenheit haben die Irakintervention und der Irakkrieg gezeigt, dass damit überhaupt nichts gewonnen ist. Ich habe vor elf Monaten den Irak besucht und viel Elend gesehen. Wenn die Reste von Staatlichkeit in diesen Ländern weiter destabilisiert werden, gibt es kaum noch Ankermächte, mit denen man in Zukunft verhandeln könnte.  

Welche Chancen gibt es jetzt?

Dr. Rink: Jetzt geht es darum, kluge Wege der Diplomatie zu finden, durch die man wieder zu einer Verständigung miteinander findet. Der Königsweg ist noch nicht gefunden, aber es bedarf vieler Anstrengungen, diesen wieder zu finden.

Was hat zu der gegenwärtigen Situation Ihrer Wahrnehmung nach geführt?

Dr. Rink: Ich stelle seit mindestens seit einem Jahr fest, dass die ganze Region im Nahen und Mittleren Osten extrem fragil und labil geworden ist. Zwar besitzt der so genannte Islamische Staat kein Territorium mehr, aber eine gehörige Anzahl von IS-Kämpfern ist nach wie vor im Untergrund aktiv. Zudem konnte der Iran seine militärische Macht ausbauen, denn der Irak liegt am Boden. Zudem habe ich den Eindruck, dass die Vereinigten Staaten inzwischen eine starke Militärpräsenz in der Region aufgebaut haben. Das steht  im Gegensatz zu den Ankündigungen, die man in der Öffentlichkeit wahrgenommen hat - dass sich die USA aus dem Gebiet zurückziehen wolle.
Aus diesen Gründen ist es kein Zufall, dass tagesaktuell Angriffe und Gegenangriffe stattfinden.  Man kann nur hoffen, dass das Ganze in kriegerischer Hinsicht nicht weiter eskaliert.

Welche Haltung vertreten Sie zum tödlichen Angriff der USA auf den iranischen General General Soleimani?

Dr. Rink: Ich stehe Außeninterventionen in meiner Grundhaltung eher skeptisch gegenüber. Denn im Nahen und Mittleren Osten ist das Kräftegleichgewicht sehr fragil und zerbrechlich. Deshalb denke ich vom Aspekt der Nachhaltigkeit her und frage mich: Was geschieht, wenn man ein Staatswesen wie den Irak destabilisiert? Was bedeutet das für andere Kräfte? Die Folgen werden sein: Der Iran weitet seine Macht aus, hat extremen Einfluss auf die Politik des Irak, auch in Syrien und im Libanon. Er bedroht auch Israel. Jetzt ist es sehr schwierig, wieder eine Machtbalance herzustellen. 

Der Iran hat mit Raketenangriffen auf zwei Militärstützpunkte reagiert, einer davon befindet sich in Erbil, in dem auch deutsche Soldaten stationiert sind. Was können Sie als Militärseelsorger dazu sagen?

Dr. Rink: Es ist dort ein Gefühl großer Unsicherheit und großer Bedrohung und ich bin sehr froh, dass wenigstens die deutschen Kontingente aus Tadschi und aus Bagdad in Sicherheit gebracht worden sind. Die Soldatinnen und Soldaten haben keinen Kampfauftrag und müssen entsprechend geschützt werden. Dann muss man neu entscheiden, wenn sich die Situation entspannt. Zur Zeit ist in Erbil ein katholischer Kollege, der demnächst durch einen evangelischen Pfarrer abgelöst wird. Alle großen Einsätze der Bundeswehr werden mit Militärseelsorgerinnen und Militärseelsorgern bestückt. Neben Erbil im Nordirak sind wir auch am Luftwaffenstützpunkt Al-Azraq  in Jordanien. Dort betreut gerade eine evangelische Kollegin die Soldatinnen und Soldaten.

Weshalb ist es aus Ihrer Sicht wichtig, die Soldatinnen und Soldaten auch seelsorgerlich zu betreuen?

Dr. Rink: Das große Pfund der Militärseelsorge ist das Beicht- und Seelsorgegeheimnis. Dadurch bleibt das, was im  seelsorgerlichen Gespräch geäußert wird, auch im geschlossenen Raum. Außerdem sind die Militärseelsorgerinnen und –seelsorger nicht Teil der Bundeswehr, sie gehören dort nicht zur Hierarchie. Deshalb muss sich ein Soldat im Gespräch mit einem Pfarrer oder Priester keine Gedanken darüber machen, ob der Vorgesetzte vielleicht etwas von seinen Äußerungen erfahren könnte. Von daher gesehen haben Militärseelsorger eine ganz wichtige Rolle.

Wie erleben die Soldatinnen und Soldaten die kirchlichen Angebote?

Dr. Rink: Häufig entsteht ein direkter Kontakt. In Afghanistan oder Mali haben die Soldaten uns beispielsweise erzählt, dass ihr erster Gang sie in die Kirche geführt hat, nachdem sie nach einer Patroullienfahrt ins Lager zurückgekehrt sind. Manche erzählten auch: `Unser erster Gang war zum Pfarrer.´ Denn bei Patroullienfahrten besteht die Gefahr, einem Attentat zum Opfer zu fallen oder in eine Sprengfalle zu geraten. Das ist eine direkte Bedrohung und belastet die Soldaten. Es gibt auch Soldaten, die aus dem Lager herausfahren und erst ein Vaterunser sprechen oder sich anschließend zum Gottesdienst oder Gebet versammeln. Es gibt ein Sprichwort, das heißt: Not lehrt beten. In diesen existenziellen Situationen ist das doppelt wahr.
Wir wissen auch, dass sich ihre Familien zu Hause Sorgen machen. Viele Soldaten sind zwischen 20 und 30 Jahren alt und einige haben kleine Kinder. Neben dem Ehepartner sorgen auch sie sich, dass dem Vater oder der Mutter beim Auslandseinsatz nichts passiert.

Wie kann man sich die Betreuung durch die Militärseelsorger vorstellen?

Dr. Rink: Das Ziel der Militärseelsorge ist es, die Soldatinnen und Soldaten bestmöglich zu betreuen. Dazu tragen etwa 100 evangelische Pfarrerinnen und Pfarrer und etwa 80 katholische Kollegen bei. Denn ungefähr die Hälfte der Bundeswehrangehörigen gehört einer Konfession an. Laut Grundgesetz soll jeder die Möglichkeit haben, seine Religion auszuüben. Über Gottesdienste, Andachten und über Riten kann ein Stück Stabilität und Sicherheit geben werden.
In der Seelsorge vor Ort ist es das Wichtigste, ein offenes Ohr zu haben, als erfahrener Gesprächspartner da zu sein, gedanklich mitzugehen. Meine Kolleginnen und Kollegen an den Militärstützpunkten teilen eine gewisse Gefährdung mit den Bundeswehrsoldaten, was das gegenseitige Verständnis erleichtert. Unsere Seelsorgerinnen und Seelsorger vor Ort sind durch ihre Ausbildung sehr professionell geschult. Das heißt: Es geht um viel mehr als das Zuhören. Es geht beispielsweise auch darum, Menschen zu ermutigen, zu ihren eigenen Gefühlen zu stehen, es geht auch um das Teilen von Zweifeln.
Neben den religiösen und seelsorgerlichen Angeboten wird die Tätigkeit der Militärseelsorger noch von einer dritten Säule getragen: Sie erteilen den so genannten lebenskundlichen Unterricht, der berufsethische Aspekte thematisiert.

Im Hinblick auf den Nahen Osten: War es in ethischer Hinsicht richtig, dass die Bundesregierung deutsche Soldaten nur aufgrund eines bilateralen Abkommens mit dem Irak dort in das Kriegsland geschickt hat?

Dr. Rink: Es ist eine grenzwertige Entscheidung, denn nach den Grundsätzen der evangelischen Friedensethik ist es so, dass es dafür unmittelbar einen Beschluss der UN braucht.  Oft lässt sich ein Beschluss, der alle Länder umfasst, nicht herbeiführen. Deshalb ist es zu einer Koalition von 81 Staaten gekommen, die auf Wunsch der dortigen Regierung unterwegs ist. Der Ratsvorsitzende der EKD Heinrich Bedford-Strohm hatte sich selbst bei seinem Besuch in Erbil die Situation vor Augen gehalten. Es ist eine ethische Güterabwägung - zwischen dem Schutz der Menschen vor schweren Menschenrechtsverletzungen und dem immer noch mangelnden Mandat an dieser Stelle. Ich glaube, es gibt gute Gründe dafür, dass man sich dem IS entgegengestellt und die Kräfte vor Ort entsprechend trainiert und ausgebildet hat.

Soldaten können im Ernstfall zur Waffe greifen und Menschen töten. Jesus hat allerdings in der Bergpredigt zur Feindesliebe aufgerufen. Wie bringen Sie das zusammen?

Es gibt eine wegweisende Schrift von Martin Luther, die sich auf Soldaten bezieht. Sie trägt den bezeichnenden Titel „Ob Kriegsleute auch in seligem Stande sein können“. Luther sagt dazu, dass ein Christenmensch gegenüber keinem anderen Menschen Gewalt ausüben dürfe, selbst wenn er Unrecht erleide. Aber ein Christ habe gleichzeitig eine Schutzverantwortung gegenüber den Menschen, die ihm anvertraut sind – seiner Familie, seinem Ort, seinem Land. Interessanterweise haben die Vereinten Nationen 2005 genau dieses Projekt der Schutzverantwortung aufgenommen. Im Idealfall soll es so sein: Die Vereinten Nationen sollen bei drohenden schwersten Menschenrechtsverletzungen oder Völkermord die Möglichkeit haben, dem Einhalt zu gebieten. Dadurch sollen beispielsweise Katastrophen wie der Völkermord in den 90er Jahren in Ruanda verhindert werden.

Durch das Gebiet des heutigen Iraks ist auch Abraham mit seiner Herde in Richtung Westen gezogen. Er gilt als Stammvater der drei Weltreligionen. Was löst dieser Gedanke bei Ihnen aus?

Dr. Rink: Das ist ein Jammer, dass sich in dieser Wiege der menschlichen Kultur solche Dramen ereignen. Sie können von Abraham aus noch weiter bis zur biblischen Paradiesgeschichte gehen, in der Euphrat und Tigris erwähnt werden. Der fruchtbare Halbmond hat über Jahrtausende hinweg Kulturen geprägt, auch unsere. Das zeigt sich in überlieferten Schriften, in Baudenkmälern und Mentalitäten. In den letzten Jahren wurden zahlreiche Kulturgüter unwiederbringlich zerstört, zum Beispiel durch den IS. Auch die jüngsten Äußerungen des amerikanischen Präsidenten gehen in diese Richtung. Das schmerzt mich jenseits des menschlichen Leides. Ich kann nur hoffen, dass diese unfassbar reiche Kulturregion zu einer gewissen Befriedung kommt.  Dann kann man mit aller Kraft daran arbeiten, den Wiederaufbau in diesen Ländern zu bewerkstelligen.    

Vielen Dank für das Gespräch!

Du wirst Gottes Kraft in der Schwachheit erfahren,
nicht vorher, nicht daran vorbei.
In der eigenen Schwachheit, in den Dingen,
um die ich einen großen Bogen mache,
meine Tabus, meine wunden Punkte.
Aber es tut nicht nur weh, es tut auch gut,
am wunden Punkt berührt und geheilt zu werden.
Und es führt kein Weg daran vorbei,
wenn es richtig gut werden soll.

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