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Nächstenliebe in der Praxis

franckreporter/istockphoto.comAuch nach Jahren sollte man dem Partner noch zeigen, dass man ihn magAuch nach Jahren sollte man dem Partner noch zeigen, dass man ihn mag

Nächstenliebe, Selbstliebe und Gottesliebe hängen enger zusammen, als man denkt. Wie genau, erklärt der Psychiater und Psychotherapeut Martin Grabe im Interview. Er weiß, wie man mit einem Hauch Nächstenliebe Mobbingopfern helfen kann und dabei sich selbst auch etwas Gutes tut.

privatPsychologe und Psychiater Martin Grabe im InterviewPsychologe und Psychiater Martin Grabe im Interview

Chefarzt Martin Grabe weiß, was Menschen kaputt macht – und wie sie sich selbst und einander glücklich machen können. Auf weltlicher und auf spiritueller Ebene. Grabe leitet die Abteilung Psychotherapie und Psychosomatik in der diakonischen Klinik Hohe Mark in Oberursel. In der Psychiatrie der christlichen Klinik werden oft Erkrankungen behandelt, die mit Störungen der Beziehungen zu sich selbst und zur Umwelt zusammen hängen. Dabei vertreten die Mitarbeiter das christliche Menschenbild, dass jeder Mensch von Gott gewollt und geliebt ist. 

Mit Erika von Bassewitz hat der Psychiater und Psychotherapeut über Selbstliebe, Nächstenliebe und Gottesliebe gesprochen. Dabei erklärt er, wie diese drei miteinander zusammenhängen. Und ganz am Rande gibt er auch Tipps für eine gute Beziehung – zu anderen Menschen und zu Gott.

In unserer aktuellen Aktion www.bibel-auf-bierdeckel.de geht es auch um Selbstliebe, Nächstenliebe und Gottesliebe. Warum ist Selbstliebe wichtig?

Martin Grabe: Psychologisch gesehen ist eine gesunde Selbstliebe eine wichtige Voraussetzung, um überhaupt gesund zu sein. Ohne mit sich selbst im Großen und Ganzen einverstanden und zufrieden zu sein, kann man nicht glücklich auf dieser Welt leben und auch für andere keine positive Ausstrahlung haben. 

Kann ich diese Ausstrahlung lernen?

Grabe: Bei uns Menschen geht das nicht. Wir können uns nicht selber ein Gefühl von Wert geben. Wir sind auf andere angewiesen, auch darauf, uns immer wieder unseren Wert durch andere bestätigen zu lassen. Das ist wirklich eine Eigenheit der Menschen. Wir sind grundsätzlich soziale Wesen. 

Und um es mal mit den Erkenntnissen aus der Säuglingsforschung zu sagen: Jeder Mensch hat drei Grundbedürfnisse. Das Bedürfnis nach Spiegelung ist das Erste. Damit ist gemeint, dass ein Baby erlebt, dass die Mutter sich freut, wenn sie es wahrnimmt. Der Mensch merkt an den Reaktionen der Anderen, dass etwas Nettes oder sogar Tolles an ihm sein muss.

Das zweite ist das Bedürfnis nach Idealisierung. Damit ist gemeint, dass ein Mensch jemanden braucht, am besten auch mehr als einen, den er richtig toll finden kann. Ein Vorbild, an dem er sich orientieren kann und das er bewundert.

Das dritte Grundbedürfnis ist das Grundbedürfnis nach Gleichheit, das auch Alter Ego Bedürfnis genannt wird. Damit ist gemeint, irgendwo richtig dazu gehören zu dürfen: zu einer Gruppe oder zu einer Familie. Und zu erleben, dass man dazu gehört: Ich bin hier ein vollwertiges Mitglied, die wollen mich dabei haben. Ich habe hier bestimmte Aufgaben und das ist richtig, wenn ich hier bin.

Und diese drei Grundbedürfnisse, das Bedürfnis nach Spiegelung, Idealisierung und Gleichheit, sind für die Entwicklung eines Kindes entscheidend. Aber diese Grundbedürfnisse gehen nie verloren, auch Erwachsene brauchen das. Der einzige Unterschied zum Kleinkind ist der, dass Erwachsene auch längere Trockenzeiten mal überbrücken können. Aber dann muss der Tank wieder gefüllt werden, sonst gehen auch Erwachsene kaputt. Sonst zerfällt auch das Selbst von Erwachsenen. 

Wie äußert sich das?

Grabe: Ich bin mir meiner selbst nicht mehr sicher, wenn da nicht jemand ist, der sich freut, wenn ich in ein Zimmer komme, oder wenn es keine Vorbilder mehr gibt, für die ich mich begeistern kann. Oder wenn ich keine Zugehörigkeit erlebe.

Deswegen macht Mobbing auch so kaputt. Wenn jemand bei der Arbeit die wachesten Momente verbringt und aus bösem Willen dort ständig ausgegrenzt wird, zermürbt das auch Erwachsene ziemlich schnell. Obwohl nur dieses eine Bedürfnis nach Gleichheit nicht befriedigt wird. Das hält über längere Zeit aber keiner aus. Wir sind soziale Wesen. Jeder Mensch braucht Beziehungspersonen.

Und wenn diese drei Grundbedürfnisse erfüllt sind, entsteht Selbstliebe?

Grabe: Genau. Dann entsteht ein kohärentes Selbst, und das Interessante ist ja, dass wir unser Selbst gar nicht merken, wenn es gut ist. Wer sich selbst liebt, denkt nicht darüber nach, ob er sich liebt. Er hat ein gesundes Selbstbewusstsein, und damit geht er die Welt an. Beispiel: Eine Lehrerin, die sich selbst mag und in sich ruht, wird einen geordneten Unterrichtsablauf folgen lassen. Während eine Lehrerin, die gar nicht weiß, wieviel sie fachlich taugt, scheitern wird. Da werden bald die Papierkügelchen fliegen. Menschen, die in sich ruhen, haben eine Ausstrahlung, die vieles gelingen lässt. Sie denken aber gar nicht darüber nach. 

Dann kann ich an einem anderen Menschen also erkennen, ob es ihm an Selbstliebe fehlt? Und woran?

Grabe: Selbstliebe ist nicht direkt einsehbar. Zum Glück! Es ist aber doch spürbar, ob ein Mensch in sich ruht, ob er reizbar ist wegen Kleinigkeiten, ob ich eine gewisse Lebenszufriedenheit spüre, ob er ruhig wirkt oder gehetzt. Ob er in sich ruht oder ob da etwas im Ungleichgewicht ist, ob er mit sich selbst uneins ist, unzufrieden ist. Das sind alle Indikatoren dafür, ob der Betreffende ein kohärentes Selbst hat, wie Selbstpsychologen sagen. 

Und wenn ich das merke - wie sollte ich darauf reagieren?

Grabe: Nun, jetzt kennen Sie ja die drei Grundbedürfnisse! Sie könnten signalisieren, dass zwischen Ihnen beiden wenigstens alles in Ordnung ist und Sie auf seiner Seite sind. Oder was manchmal auch Wunder wirkt, ist Lob. Lob ist ja ein anderer Ausdruck von Spiegelung. Das ist wichtig. Und auch nicht immer so leicht. Meine Erfahrung ist aber: Fast alle Menschen wollen gelobt werden und freuen sich, wenn man sie lobt.

Wenn ich merke, dass ein Mensch etwas unsicher und nicht im Gleichgewicht ist, kann ich mir einen Moment nehmen, in mich gehen und mich fragen: Was ist denn gut an diesem Menschen? Und ihm dies mitteilen. Das wirkt sich fast immer sehr positiv aus und gibt ihm auch wieder ein Stück Sicherheit.

Das klassische Bibelwort: Liebe den Nächsten wie Dich selbst- das geht dann ja gar nicht, wenn ich mich selbst eigentlich gar nicht selbst lieben kann. Also müssten wir uns komplett auf die Nächstenliebe einstellen?

Grabe: Es hängt beides ganz eng zusammen. Da, wo Menschen sich Nächstenliebe geben, da vergrößern sie auch ganz automatisch ihre Selbstliebe. Und da, wo Menschen eine Selbstliebe mitbringen, sind sie auch in der Lage, Nächstenliebe zu geben.

Ich habe bei der Recherche gelesen, man sollte sich selbst vor den Spiegel stellen und sich sagen, wie schön und toll man ist. Aber so wie ich sie verstehe, entsteht die Selbstliebe vielmehr durch Interaktion mit anderen?

Grabe: Selbstliebe entsteht in Interaktion mit anderen. Trotzdem habe ich nichts dagegen, wenn so etwas punktuell auch gemacht wird. Wenn es gilt, negativen Stimmen aus der Kindheit etwas entgegen zu setzen, ist es gut, sich selbst zu loben oder einen Zettel an den Spiegel zu kleben. Wenn Menschen es gewohnt sind, ein schlechtes Selbstbewusstsein zu haben, etwa weil sie in ihrem Elternhaus wenig beachtet wurden und denen vermittelt wurde, dass sie überflüssig waren, sei es als fünftes Kind auf dem Bauernhof oder auch als vergessenes Mittelkind – da ist es wichtig, bewusst irrationalen negativen Überzeugungen gegen sich selbst entgegen zu treten. Und das kann schon mit einem Zettel am Spiegel passieren oder mit positiven Sätzen zu sich selbst. 

Und andere sollte ich loben und ihnen Komplimente geben, um bei mir Selbstliebe entstehen zu lassen?

Grabe: Ja, aber nicht mehr als ich kann. Es muss auch echt sein, es darf nur echt sein. Sonst wird es ganz schräg. Und die anderen spüren auch, dass es ein Mittel zum Zweck ist. Es sollten keine hohlen Komplimente oder Standardkomplimente sein. Wenn ich mir vorher klar gemacht habe, mit wem ich es denn da zu tun habe, dann kommt ein Lob oder ein Kompliment oder eine anerkennende Bemerkung wirklich an. 

Ich glaube, das ist ein Punkt, der oft vernachlässigt wird und so wichtig wäre: zu erlernen, kurz in sich zu gehen und sich dessen bewusst zu werden, was wir am anderen schätzen. Gerade in Partnerschaften ist das so wichtig und wird so sträflich vernachlässigt, manchmal über Jahre. 

Weil so furchtbar viel zu tun ist und man macht alles perfekt, alle sind gut angezogen, das Haus ist sauber und der Vorgarten ist gepflegt. Aber das bleibt auf der Strecke. Wir erfüllen uns zu wenige Grundbedürfnisse. Und das ist allemal lohnend investierte Zeit.

Dass die Nächstenliebe und die Selbstliebe ganz eng zusammen hängen, haben wir jetzt gesehen. Aber was ist mit Gott? Kann der auch eine Rolle spielen?

Grabe: Idealerweise würde ich sagen, ist es ein Dreieck. Idealerweise gehört nicht nur die Beziehungsebene im zwischenmenschlichen Bereich dazu, sondern auch die im spirituellen Bereich. Und Menschen, die glauben, würden wahrscheinlich auch bestätigen, dass auch aus dieser Ebene genau das zu beziehen ist, worüber wir gerade gesprochen haben. Dass es nämlich im Glauben Momente gibt, in denen Menschen spüren: Da ist die Liebe Gottes. Die ist da. Gott ist gegenwärtig. Ich brauche gar nichts mehr zu tun. Alles ist gut.

Haben sie Beispiele für solche Momente?

Grabe: Das ist etwas, das sich ereignet. So wie ich auch im zwischenmenschlichen Bereich eine wirklich gute Ich-Du-Beziehung nicht herstellen kann, die ereignet sich. Es kann sein, dass ich mit meiner Partnerin auf genau derselben Parkbank sitze, auf der wir vor zwei Wochen ein supertolles Gespräch hatten, und da passiert gar nichts. Das Einzige, was ich mit Sicherheit sagen kann: Wenn ich keinen Raum schaffe, wo etwas auf der Beziehungsebene passieren kann, dann wird auch mit Sicherheit nichts passieren. Das kann ich mit Sicherheit sagen. Das Gegenteil nicht. Weil wohltuende Beziehungsmomente sich ereignen. Die kann ich nicht machen, ich kann ihnen nur den Raum geben, dass sie sich ereignen können. Ich kann mir nicht vornehmen: Jetzt möchte ich mal ordentlich Liebe Gottes erleben. 

Wie kann ich solchen Erfahrungen denn Raum geben?

Grabe: Es ist wichtig, sich überhaupt erst einmal Zeit zu nehmen. Dann ist das Gebet ein wichtiger Weg, ein stilles, ein einladendes Gebet. Ein Weg, der oft beschrieben ist, ist auch das Lob Gottes. Viele Menschen haben beschrieben, wie sie gerade in schwierigen Situationen - von Schulden bis Partnerkonflikten- begonnen haben, Gott dafür zu loben, was zunächst paradox und ein bisschen verrückt klingt. Gott zu loben heißt anzuerkennen, dass seine Möglichkeiten größer sind als meine, und sogar größer als mein Problem. 

Ich habe so viele Geschichten gehört von Menschen, die gerade in solchen Situationen angefangen haben, Gott zu loben und anzuerkennen, dass er irgendwas Vernünftiges mit diesem Problem vorhaben wird. Dass es jetzt schon in seinen großen Masterplan eingewoben ist und irgendetwas Gutes dabei herauskommen wird. Das wäre ein Weg, um zu einer Gottesbeziehung zu kommen. 

Das Lesen in der Bibel kann auch ein Weg sein, zu Gott zu kommen. Da bekommen wir Anregungen und spüren, dass da eine Wahrheit drinsteckt, die ich zurzeit in meinem Leben nicht wirklich erfasst habe und nicht wirklich verwirkliche. Wo ich ein Stück Freiheit gewinnen kann, etwa indem Zukunftssorgen relativiert werden. Und auch wieder auf eine neue Weise Zugang zum Glauben bekomme, mein Alltagsleben vom Glauben durchwirken lasse. 

Und das Evangelium ist im Grunde der zentrale Punkt dieser selbstpsychologischen Bedürfnisse: Das Wissen darum, das Wissen im Glauben, dass für mich alles schon getan ist. Dass Gott für mich Mensch geworden ist, meine Schuld, auch meine zukünftige und die aller Menschen auf sich genommen hat, um eine Beziehung zu uns herzustellen. Und dass dadurch alles schon geklärt ist und alles in Ordnung ist. Und ich einen freien Zugang zum Vater im Himmel habe. Und dass ich Gottes Liebe sicher habe.

Kann mir der christliche Glaube auch helfen, andere oder mich selbst zu lieben?

Grabe: Ich glaube gerade aus der Kraft dieser Erkenntnis heraus, dass alles in Ordnung ist, kann ich dann auch ein Mensch werden, der leichter abgeben kann, der leichter die Bedürfnisse von anderen in den Blick bekommen kann. Der Zeit gewinnt, sich empathisch auf andere einzulassen. Ich glaube schon, dass eine lebendige spirituelle Beziehung da sehr, sehr hilfreich ist. Aber es ist natürlich auch wahr, dass bei vielen Menschen der Glaube schnell zu theoretischen Dogmen verkommt und wenig im Herzen ankommt. Und ich dann auch entsprechend fordernd und hart mit anderen und mit mir erst recht umgehe und insgesamt ein gar nicht so angenehmer Chef bin. Und da brauche ich Stille, um wieder den Blick dafür zu kriegen, was wirklich wichtig ist, und auch wie wichtig es ist, dass es den Anderen in meinem Umfeld gut geht.

Wenn Sie unsere Bierdeckel zur Aktion www.bibel-auf-bierdeckel.de und unsere Sprüche sehen – würden Sie unterschreiben, was da drauf steht? 

Grabe: Ich finde, das passt doch alles äußerst gut. Hier dieser Vers aus Psalm 139: Du bist auf eine erstaunliche und wunderbare Weise gemacht. Das ist auch noch mal ein wichtiger Aspekt. Ich habe die spirituelle Ebene eben eher von der Erlösungsebene her beschrieben, der andere ganz wichtige Aspekt ist der Schöpfungsaspekt, dass eben auch viel Gutes geschaffen ist. Und dass wir uns -auch wir beide hier, jeder für sich - einfach mal als Schöpfungswunder sehen dürfen. Das ist der zweite wichtige Aspekt, den einzusehen vielen Menschen schwer fällt.

Dass man selbst ein Geschöpf Gottes ist…

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Gut:
Das heißt für mich -
frei und befreit von allem,
was ich aus Angst und Ärger tief
in mir vergraben habe.

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