1970 - 1979
1970
Spitzenwerte
Maximale Mitgliederzahl und Austrittswelle
Vor allem durch Zuzüge ins Rhein-Main-Gebiet erreicht die EKHN mit 2,4 Millionen ihre höchste Mitgliederzahl. Gleichzeitig steigt die Zahl der Kirchenaustritte massiv an und findet 1974 einen vorläufigen Höhepunkt.

Kirchengeld für Waffen?
Unterstützung für den Kampf gegen Rassismus
Der Ökumenische Weltkirchenrat berät in Arnoldshain über die Verteilung der Mittel seines im Jahr zuvor aufgelegten Sonderfonds im »Programm zur Bekämpfung des Rassismus«.
Die EKHN hat als erste und einzige deutsche Kirche dafür Geld gegeben (100.000 DM) und löst damit bundesweite Debatten aus, da nicht alle Empfängerorganisationen, zu denen neben Sinti und Roma sowie Indianerstämmen auch afrikanische Befreiungsbewegungen gehören, militärische Mittel grundsätzlich ablehnen.

Tanz vor dem Altar
Kindergottesdienst kreativ
Mit Spiel, Tanz und weiterer Bewegung setzt Wolfgang Longardt in der Gestaltung des Kindergottesdienstes neue Akzente. 1978 wird Paul Clotz der erste hauptamtliche Beauftragte für den Kindergottesdienst.
Stimme und Stimmrecht der Jugend
Wahlrecht mit 16 Jahren und Gründung der Jugendvertretung
Die EKHN reagiert auf die Proteste der Jugend. Sie gibt ihr Raum und Stimme. Jugendliche ab 16 Jahren können die Kirchenvorstände mitwählen. Im gleichen Jahr gründet sich der Landesjugenddelegiertentag als Evangelische Jugendvertretung in der Kirche sowie gegenüber Staat und Öffentlichkeit. Er geht 2001 in der Evangelischen Jugend in Hessen und Nassau auf, die ihren Sitz im Zentrum Bildung hat.
Bits und Bytes im Anmarsch
Erstes Rechenzentrum im Bereich der EKD
Die »Kirchliche Gemeinschaftsstelle für elektronische Datenverarbeitung« entsteht. Sie nutzt zunächst in den Nachtstunden den Computer der Stadtwerke Frankfurt. Dann kann ist an ihrem Sitz im Frankfurter Dominikanerkloster das eigene IBM-Rechenzentrum einsatzbereit. Damit verfügt die EKHN als erste evangelische Kirche in Deutschland über einen Server. Erster Leiter ist Martin Corbach.
1971

Vorreiter in mühsamer Versöhnung
Kontakte nach Polen
Mitten in der Beziehungslosigkeit des Kalten Kriegs führt Kirchenpräsident Hild eine erste EKHN-Delegation nach Polen. Ihr folgt 1973 eine von Hild angeführte EKD-Delegation. Ein Jahr später wird unter Vorsitz Hilds der Kontaktausschuss der EKD mit dem polnischen Ökumenischen Rat gegründet.

Ökumene zu Hause
Konfessionsverbindende Ehen
Die konfessionelle Durchmischung der Bevölkerung bringt immer mehr konfessionsverbindende Ehen hervor. Trotz erheblicher theologischer Unterschiede (Sakrament oder Segenshandlung) ermöglichen die katholische und die evangelische Kirche sogenannte ökumenische Trauungen, bei denen jeweils eine Seite gastweise mitwirken darf.

Fantasie für den Sonntag
Gottesdienstberatungsstelle
Unter der Leitung von Friedrich Karl Barth richtet die EKHN in Frankfurt eine eigene Stelle ein, die Beratung bei der kreativen, modernen und fundierten Gestaltung von Gottesdiensten sowie Materialien anbietet. Sie wird 2011 Teil des Zentrums Verkündigung.

Mindestansprüche für Kindergärten
Evangelische Fachhochschule gegründet
Als erstes Bundesland hält Rheinland-Pfalz in einem Kindergartengesetz Mindeststandards für Ausstattung und Ausbildung fest.
Die EKHN reagiert mit einem intensiven Ausbau von Aus- und Fortbildung. Dazu gehört 1972 auch die Gründung der Evangelischen Fachhochschule (heute Evangelische Hochschule) in Darmstadt mit einem Fachbereich Sozialpädagogik.

Gebündelte Kompetenz
Evangelisches Missionswerk Südwestdeutschland entsteht
Die fünf südwestdeutschen Kirchen, die bislang ihre ökumenischen Kontakte in der Arbeitsgemeinschaft für Weltmission lose gebündelt haben, gründen das Evangelische Missionswerk Südwestdeutschland (EMS), das ein Netz weltweiter Kontakte und Partnerschaften aufbaut. Es nennt sich inzwischen Evangelische Mission in Solidarität.
1972
Stabiler als gedacht
Erste Umfrage über die Evangelische Kirche
Auf Veranlassung der EKHN und in Zusammenarbeit mit der EKD lässt Kirchenpräsident Helmut Hild unter dem Titel »Wie stabil ist die Kirche?« die erste Umfrage zur Situation der Evangelischen Kirche durchführen. Sie belegt ein Krisenbewusstsein und zeigt, dass der Kontakt vieler Mitglieder zur Kirche zwar distanzierter wird, aber weithin immer noch stabil ist.

Neue Sensibilität
Seminar für therapeutische Seelsorge gegründet
Seelsorge benötigt nicht nur Gebete und biblische Worte, sondern auch sozialwissenschaftliche Expertise.
Werner Becher und andere kämpfen gegen erhebliche Skepsis dafür, psychologische Erkenntnisse in die Seelsorge zu integrieren. 1969 veranstaltet des Theologische Seminar in Herborn erstmals ein klinisch-pastorales Training. Ab 1972 fördert das Seminar für therapeutische Seelsorge eine moderne und selbstreflektierende sowie später auch zielgruppenorientierte Seelsorge. Es ist heute im Zentrum Seelsorge und Beratung integriert.

Bildungsarbeit aufgewertet
Gemeindepädagogik als neues Berufsbild samt Ausbildung
Gute evangelische Bildungsangebote fußen auf guter Ausbildung.
Die EKHN etabliert dafür das neue Berufsbild der Gemeindepädagog*innen sowie einen eigenen Berufsabschluss an der Evangelischen Fachhochschule in Darmstadt (EHD). Die Absolvent*innen arbeiten zumeist in der Jugendarbeit, später auch in anderen Bereichen.

Vertrauen in das Täterland
Internationaler Rat von Christen und Juden zieht nach Südhessen
In Heppenheim verhindern Heppenheimer Bürger*innen den Abriss des Hauses, in dem der große jüdische Gelehrte Martin Buber lebte.
Dort zieht 1979 der in 34 Ländern tätige und bis dahin in London ansässige Internationale Rat von Christen und Juden ein. Vermittelt hat dies die EKHN. Enge Kontakte hält auch der Arnoldshainer Akademiedirektor Martin Stöhr, der seit 1961 die Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen beim Kirchentag leitet.
1973

Raus aus dem Schneckenhaus
Plakate für die Wahlen zum Kirchenvorstand
Erstmals setzt die EKHN mit Faltblättern, Plakaten und dem Slogan »Ein Christ lebt nicht im Schneckenhaus.
Er wählt und lässt sich wählen« moderne Kommunikationsmittel ein, um mit der Wahlbeteiligung die demokratische Legitimation der Kirchenvorstände zu erhöhen.
Politische Gratwanderung
DKP-Pfarrer«-Krise
Obwohl die Synode 1973, analog zum damaligen staatlichen Beamtenrecht, die Unvereinbarkeit von Pfarramt und Mitgliedschaft in der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) erklärt hatte, treten acht Vikare in die DKP ein (und bis 1977 wieder aus). Kirchenpräsident Helmut Hild und die Synode setzen sich erfolgreich dafür ein, dass sie dennoch bei der EKHN bleiben dürfen. Die EKHN übernimmt damit das vom Staat praktizierte »Berufsverbot« nicht.

Immer weniger Diakonissen
Diakoniestationen entstehen
In Mainz öffnet die erste evangelische Sozialstation. Der Ausbau eines flächendeckenden Netzes für häusliche Krankenpflege geht 1974 weiter.
Und zwar mit der Ökumenischen Zentralstation in Schwalbach-Limesstadt und 1975 der Diakoniestation in Darmstadt. Stationen übernehmen die Aufgabe von Gemeindeschwestern und Diakonissen, denen inzwischen der Nachwuchs fehlt.
Kirchliche Diplomaten
Beauftragte bei den Landesregierungen
In Wiesbaden (Hessen) tritt Wilhelm Augustin als erster Beauftragter der evangelischen Kirchen in Hessen am Sitz der Landesregierung sein Amt an. Sein Kollege in Mainz (Rheinland-Pfalz) wird kurz darauf Wilhelm Kentmann. Ihre Aufgabe ist, die Kontakte zu den Regierungen, Landtagen und Parteien zu pflegen und die politische Willensbildung der verschiedenen Landeskirchen zu koordinieren. Kirchlich-politischer Pragmatismus kehrt ein.

Evangelische Medienfachleute
Gründung des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik
Die EKD gründet das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (gep), das auf EKD-Ebene Medienfachdienste wie den Evangelischen Pressedienst (epd) bündelt.
Sein Sitz ist bis heute in Frankfurt und damit in der EKHN. Ab 2022 intensiviert das Medienhaus der EKHN die Zusammenarbeit mit dem gep.
1974

Antwort auf Abtreibungsdebatte
Stiftung »Für das Leben«
Als Konsequenz der erbittert geführten Debatte um das Recht auf Schwangerschaftsabbruch richtet die EKHN eine Stiftung ein, die junge Mütter in schwierigen Lagen unterstützen soll.
Erste Vorsitzende ist bis zu ihrem Tod 1989 Rosmarie Oerter. Ihr folgt Gründungsmitglied Ursula Merck.

Ihr Kinderlein kommet – wieder
Beratungsstelle für Kindergottesdienst
Der Besuch des Kindergottesdiensts geht allseits zurück. Die EKHN versucht Kinder und Eltern mit einem verbesserten Angebot wieder dafür zu gewinnen.
Sie richtet 1974 erst eine halbe und 1978 eine ganze Pfarrstelle dafür ein. 1974 nimmt sie Landesschülerpfarrer Gerd Schenk wahr und ab 1978 Paul Martin Clotz. Heute ist die Stelle im Zentrum Verkündigung angesiedelt.

Mitmachen
Stimme der regionalen Jugend
Um den Nachwuchs in der Kirche besser zu beheimaten, erkennt die EKHN Jugendvertretungen auf Gemeinde, Dekanats- und gesamtkirchlicher Ebene als Selbstvertretungsstrukturen offiziell an.
1975

Den Mitgliedern zugewandt
Magazin »Im Gespräch«
Angesichts steigender Austrittszahlen will die EKHN ihre Kommunikation verbessern. Auf Veranlassung von Kirchenpräsident Hild entsteht das Mitgliedermagazin »+++ im Gespräch«.
Es soll in ansprechender farbiger Aufmachung evangelische Themen zu möglichst vielen Mitgliedern bringen. Allerdings gelingt die Verteilung über die Kirchengemeinden nicht immer. 1991 wird sie durch die Quartalspublikation »echt« ersetzt, die per Post an alle Haushalte mit mindestens einem Kirchenmitglied geschickt wird.

Neue Lieder
Kirchentag bringt Popmusik in die Gemeinden
Auf dem Kirchentag in Frankfurt gibt es erstmals einen Markt der Möglichkeiten. Vom Kirchentag aus finden neue geistliche Lieder im Stil der Popmusik (Sacropop) ihren Weg in die Gemeinden.
Prominenteste Vertreter*innen in der EKHN sind der Frankfurter Propst und Komponist Dieter Trautwein, die damals gegründete und bis heute (Stand 2022) bestehende Gruppe HABAKUK und der Liedermacher Clemens Bittlinger.

Ende einer Ära
Männerarbeit in die EKHN integriert
Die bis dahin in einem Verein selbstständig organisierte Männerarbeit wird unter der Leitung von Adam Bitsch in das Amt für missionarische Dienste der EKHN integriert, ab 1995 im Zentrum Bildung.
1976
Konfliktmanagement
Gemeindeberatung
Die EKHN gründet mit der Gemeindeberatung eine Einrichtung, die Gemeinden und andere kirchliche Einrichtungen theologisch und organisationstheoretisch bei ihrer Entwicklung und in Krisen berät und unterstützt. Ihre erste Geschäftsführerin wird Eva Renate Schmidt.
1977

Weltweit lernen
Ökumenische Werkstatt
Als Ort für internationale, interkonfessionelle und interreligiöse Begegnungen sowie für ökumenisches Lernen beginnt in Frankfurt nach Wuppertaler Vorbild die Ökumenische Werkstatt ihre Arbeit.
Erster Leiter ist Fritz Weissinger. 1984 wird die Einrichtung Teil des Amts für Mission und Ökumene.

Zeichen der Hoffnung
Verein für Aussöhnung mit Polen gegründet
Mitten im Kalten Krieg unternehmen namhafte Personen in der EKHN eine Studienreise nach Polen und begegnen dort Überlebenden von NS-Konzentrationslagern.
Zurück in Frankfurt gründen sie unter der Führung von Klaus Würmell, dem Vorsitzenden der Evangelischen Erwachsenenbildung, den Verein ZEICHEN DER HOFFNUNG – ZNAKI NADZIEI. Der Verein hilft Hunderten von ehemaligen NS-Opfern mit Medikamenten, medizinischen Hilfsmitteln und Kuren. Zudem fördert er die Aussöhnung durch Studienreisen für Lehrkräfte und Jugendliche, Ausstellungen polnischer Künstler, Diskussionsabende und regelmäßige Auftritte auf Kirchentagen. Mit beteiligt ist Kirchenpräsident Helmut Hild. Für ihn ist die Aussöhnung mit Polen zur Lebensaufgabe geworden, der er in 26 Reisen auch im Namen der EKD nachgeht.

Protest mit dem Einkaufskorb
Boykott gegen Apartheid in Südafrika
Nach einem Aufstand im Township Soweto geht die Evangelische Frauenarbeit in Deutschland mit der Kampagne »Kauft keine Früchte der Apartheid« an die Öffentlichkeit.
Die Evangelische Frauenhilfe in Hessen und Nassau nimmt eine führende Rolle bei der Durchführung des Früchteboykotts ein. Ihre Zentrale ist in Frankfurt, wo in der Projektgruppe Ursula Merck, Margot Becker, Marieluise Stöhr, Ursula Trautwein und Hildegard Zumach, Edda Stelck und Lisel Michel aktiv sind. Der Boykottaufruf gegen die Rassendiskriminierung in Südafrika ist eine neue Form des Protests in der Kirche. Die Debatte darum erfasst alle EKHN-Gremien. Die EKHN unterhält eine Partnerschaft mit der Herrnhuter Brüdergemeine (Moravians) im südlichen Südafrika.
Kirchengeschichte zu Papier gebracht
Standardwerk über die EKHN erscheint
Das von Heinrich Steitz verfasste Standardwerk »Geschichte der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau« erscheint.

Für Frieden und Versöhnung
Gründung der Martin-Niemöller-Stiftung
In Wiesbaden nimmt eine Stiftung mit dem Namen des ersten Kirchenpräsidenten der EKHN ihre Arbeit auf.
Die Vorsitzenden sind Heinz Kloppenburg, Eugen Kokon, Walter Jens und Martin Stöhr. Die Stiftung fördert Initiativen, die auf Verständnis zielen sowie dem Frieden und der Entspannung dienen. Sie vergibt seit 2000 den Julius-Rumpf-Preis, dessen Namensgeber die Bekennende Kirche in Hessen-Nassau leitete.
1978
Standesvertretung
Pfarrerausschuss etabliert
Als erste Kirche in Deutschland hatte sich die EKHN bereits 1947 eine gesetzlich geregelte Vertretung aller Pfarrer gegeben. Seit 1978 wählen die Pfarrerinnen und Pfarrer diesen Ausschuss direkt und er tritt als Interessenvertretung dieser Berufsgruppe der Kirchenleitung gegenüber.

Kritische Geister
Friedenwerkstatt im Kloster Höchst
In der Jugendbildungsstätte Kloster Höchst im Odenwald findet die Friedenswerkstatt statt. Sie verstetigt sich als »Jugendkulturwerkstatt« und wird später ein wichtiger Teil der politischen Jugendarbeit in der EKHN.
Jannasch baut kontinuierlich die damals einzige theologische Fakultät auf dem Gebiet der EKHN auf, indem er für die Berufung von Theologen nach Mainz sorgt.
1979

Christen und Muslime
Artikelserie über den Islam
In der EKHN-Zeitung »Weg und Wahrheit« erscheint eine Serie, die sich mit dem Islam beschäftigt. Seitdem hat sich der interreligiöse Dialog beständig intensiviert.
1981 veranstaltet die Akademie in Arnoldshain das Seminar »Abrahams Kinder«. 1984 macht Paul Löffler als neuer Leiter das Thema zur Aufgabe des Amts für Mission und Ökumene. Erster ehrenamtlicher Islambeauftragter wird 1987 Claus Jochen Braun.
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