Josefs Weihnachtstraum

Josef hätte Maria verlassen, wenn er nicht noch einmal darüber geschlafen hätte. Aber lassen sich Träume immer 1:1 als Hinweis für das reale Leben übertragen? Die Bibel nimmt Träume ernst. Aber sie warnt auch.
Noch gut zwei Wochen bis zum Geburtstermin, und dem werdenden Vater geht es überhaupt nicht gut. Ihn quält weniger die Verantwortung, die auf ihn zukommt. Es ist viel schlimmer. Er weiß, dass er nicht der Vater sein kann. Was soll er tun? Seiner Frau eine Szene machen? Er liebt sie. Er will sie nicht anschreien, schon gar nicht jetzt, so kurz vor der Geburt. Auch wenn es komisch klingt: Er will das Beste für sie und für das Kind. Aber er will auch nicht treudoof als der Betrogene neben der Wiege stehen.
Die Entscheidung ist getroffen - und dann ein Traum
Er hat schon viel zu lange nichts gesagt und seine Gefühle nur mit sich selbst ausgemacht. Er muss endlich eine Entscheidung treffen – schnell. Er beschließt, seine Frau ohne großes Tamtam zu verlassen. Sie kann zu ihrer Familie gehen. Die wird sich um sie kümmern. Vielleicht kriegt es keiner mit, und so kommen beide einigermaßen heil aus der Geschichte. In der Nacht aber hat er einen seltsamen Traum. Er träumt von einem Engel, der ihm sagt: Hab keine Angst, bei deiner Frau zu bleiben! Es hat schon alles seinen Sinn. Hab Vertrauen!
Heilige Familie komplett – durch einen Traum
Was macht man mit solch einem Traum? Ihn am Morgen als Träumerei abtun? Der Mann mit den Trennungsgedanken im Advent nimmt den Traum ernst. Er bleibt bei seiner schwangeren Frau. Er steht ihr bei der Geburt zur Seite und zieht das Kind mit ihr auf, auch wenn es nicht seines ist. Der Mann heißt Josef, seine Frau Maria. Von dem Kind sagen später die Leute: Es ist Gottes Sohn. (Matthäus 1,18-24) Ohne Träume hätte es die Weihnachtsgeschichte, wie wir sie kennen, nicht gegeben. (mehr über Weihnachten)
Traum-Geschichten in der Bibel
Im Schlaf geht die Seele ihre eigenen Wege. Das hat eine unheimliche Seite. Ich kann nicht steuern, in welche Tiefen ich abtauche. Aber es ist auch faszinierend. Ein Traum öffnet mir andere Welten. »War doch nur ein Traum«, so könnte man aufgeklärt abtun, was man im Schlaf erlebt hat. Die Bibel nimmt Träume ernst. In der Vorstellungswelt des Alten und des Neuen Testaments haben wir nicht nur ein Bewusstsein, wenn wir wach sind. Auch im Traum erfahren die Menschen der Bibel etwas über sich selbst und über Gott.
Traumdeutung hat eine lange Tradition
Traumdeutung war im Alten Orient kein Hokuspokus, sondern wurde systematisch betrieben. Es gab ganze Traumbücher, in denen tausende Träume gesammelt und nach Themen geordnet waren. Zum Beispiel Träume, in denen es um Essen geht. Träume, in denen ein Kleid eine Rolle spielt oder in denen Verstorbene vorkommen. Die Menschen waren überzeugt: Träume sind ein Weg, auf dem Gott wichtige Botschaften übermittelt.
Die Träume des Pharao
Doch nicht jeder Traum spricht eine so deutliche Sprache, dass man seine Bedeutung sofort erkennt. Ein großer Träumer im Alten Testament ist der Pharao von Ägypten. Er hat kurz hintereinander zwei Träume, auf die er sich keinen Reim machen kann. Im Schlaf steht er am Ufer des Nils. Aus dem Wasser steigen sieben schöne, fette Kühe; die gehen auf die Weide und grasen. Dann steigen sieben hässliche und magere Kühe aus dem Fluss. Die fressen die sieben schönen Kühe auf. Da erwacht der Pharao. Als er wieder einschläft, träumt er nochmals: Sieben Ähren wachsen an einem Halm, voll und dick. Danach gehen sieben dürre Ähren auf, dünn und versengt. Die sieben dürren Ähren verschlingen die sieben dicken (1. Mose 41).
Die beiden Träume jagen dem Pharao Angst ein. Er braucht jemanden, der deuten kann, was er geträumt hat. Er hört von einem hebräischen Sklaven. Der heißt Josef – wie später der Ziehvater Jesu im Neuen Testament. Der alttestamentliche Josef erklärt dem Pharao dessen Nachtgesichte.
Der Kern der Botschaft
Wer die Kunst der Traumdeutung im Alten Orient beherrschte, unterschied Wichtiges von Nebensächlichem. Es kommt nicht auf jedes Detail an, sondern auf den Kern des Traums. Josef spekuliert nicht darüber, wie Kühe und Ähren sich gegenseitig auffressen können. Er sieht die Botschaft: Nach sieben fetten Jahren werden sieben magere kommen, sprich Dürre und Hungersnot in Ägypten.
Träume können Handlungsspielräume eröffnen
Ein Traum ist nicht eins zu eins eine Zeitansage, ein Schicksal, das man nicht ändern kann. Josef macht einen konkreten Vorschlag, wie der Pharao handeln kann, damit die mageren Jahre nicht den Ertrag der fetten Jahre verschlingen. Der Pharao soll Kornspeicher bauen lassen und in den fetten Jahren Vorrat anlegen. Träume sind in der Bibel keine Befehle von Gott, die der Mensch blind auszuführen hätte. Sie liefern Stoff zum Nachdenken und eröffnen dem Träumer den Handlungsspielraum, um zu reagieren.
Fast das ganze Gehirn ist aktiv
Warum träumen wir? Damit beschäftigt sich die heutige Schlafforschung. »Beim Träumen ist fast das ganze Gehirn aktiv«, erklärt Werner Cassel. Er ist Psychologe am Zentrum für Schlafmedizin an der Universitätsklinik in Marburg. Was wir im Traum erleben, spielt sich besonders im frontalen Cortex ab, also in der Region des Gehirns, in der unser Bewusstsein lokalisiert ist.
Wir träumen jede Nacht und in allen Schlafphasen – ob wir uns daran erinnern oder nicht. Aber die Träume, in denen wir ganze Geschichten erleben, sind begrenzt auf den sogenannten »REM-Schlaf«. REM steht für »Rapid Eye Movement«, wenn sich im Schlaf die Augen unter den geschlossenen Lidern schnell hin und her bewegen. »Träumen ist kein Wunschkonzert«, sagt Werner Cassel. Die Hälfte bis Zweidrittel unserer Träume hat negativen Inhalt – so wie der Pharao im alten Ägypten von mageren Kühen träumt, die die fetten Kühe auffressen. Warum ist das so?
Vorbereitung auf künftige Herausforderungen
Der Schlafforscher meint: »Wahrscheinlich haben Träume die Funktion, uns auf negative Situationen vorzubereiten, so dass wir im Wachzustand nicht von unseren Emotionen überrannt werden.« Es geht um Erfahrungen wie Verlust, der Schrecken eines Kindes, plötzlich alleine zu sein, oder um den Albtraum, den viele kennen: Ich werde bedroht, muss vor einer Gefahr davonlaufen, aber meine Beine sind schwer wie Blei. Ich komme nicht vorwärts. Manchmal gelingt es, eine Angst zu überwinden und einen inneren Konflikt aufzulösen, indem ich mich mit dem Traum beschäftige und nach seinen Ursachen forsche. Dann kann selbst ein Alptraum weiterhelfen.
Aussagen der Träume kritisch prüfen
Die Menschen der Bibel nehmen Träume ernst. Aber sie sind auch kritisch. Immer wieder warnen Propheten davor, Träume für bare Münze zu nehmen. Im Buch Jesus Sirach im Alten Testament heißt es: »Narren verlassen sich auf Träume. Wer sich auf Träume verlässt, der greift nach dem Schatten und will den Wind haschen.« (Sirach 34,1-3)
Die Warnung hat gewirkt. Im rabbinischen Judentum werden Träume kritisch geprüft: Was ist das für ein Traum? Ein Hirngespinst, eine Spiegelung der Seele oder steckt in ihm tatsächlich eine Botschaft von Gott?
Es hilft, die eigenen Träume zu prüfen. Spiegelt der Traum eine Angst oder Sorge und, wenn ja, vor was habe ich Angst? Die Sorge und die Angst beim Namen zu nennen, kann schon manchen Dämon vertreiben. So lassen sich die Träume identifizieren, die überraschend kommen und zeigen: In unserer Seele gibt es Bereiche, die wir selten betreten oder gar nicht kennen. Es gibt weit mehr, als wir im Wachzustand wahrnehmen oder für möglich halten.
Gottes Möglichkeiten reichen weiter
So ergeht es dem zweiten Josef der Bibel, dem Mann der Maria. Bleibe ich als der Betrogene bei meiner Frau, die ein Kind erwartet, das nicht von mir sein kann? Die Frage hat ihn zermürbt. Bei Tage sah er keinen anderen Ausweg, als Maria zu verlassen. Ein Traum zeigt ihm: Die Wirklichkeit ist nicht so klein und eng, wie deine Enttäuschung und deine Angst dir glauben machen. Gottes Möglichkeiten reichen weiter, als du dir im Wachzustand vorstellen kannst.
Der Engel in Josefs Traum sagt: »Fürchte dich nicht.« Das ist der beste Stoff, aus dem die Träume in der Bibel sind. Wenn ein Traum die Angst nimmt. Wenn er einen Ausweg zeigt, wo ich nur Hindernisse sehe. Wenn er Mut macht, eine Aufgabe anzupacken, auch wenn ich nicht weiß, wie ich sie schaffen soll. Dann sind Träume wie eine Eingebung von oben.
Ein Fenster, das den Blick öffnet
Kommen Träume von Gott? Nicht jeder, so die Erfahrung der Menschen in der Bibel. Aber sie erzählen von Träumen, die offenbaren: Es gibt mehr als die nackte, harte Realität. Sogar die unheimlichen Träume sind kein böses Omen, sondern können helfen, Angst zu überwinden. Wenn ein Traum so wirkt, ist er wie ein Fenster, das den Blick dafür öffnet: Gottes Welt ist tiefer und weiter, als wir ahnen.
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